Montag, 29. Oktober 2012

"500 Days of Summer" [US '09 | Marc Webb]

Musik- und Werbevideos scheinen ein vielversprechender Einstieg in das Filmbusiness zu sein. Krawallmacher Michael Bay und Autodidakt David Fincher zum Beispiel saßen vor ihren Durchbrüchen – in gänzlich verschiedene Richtungen wohlgemerkt – beide bei Musikvideo-Drehs auf dem Regiestuhl. Auch der südafrikanische Regie-Neuling Neill Blomkamp, welcher mit „District 9“ 2009 einen Überraschungserfolg hinlegte, verdiente sein Geld zuvor mit Werbefilmen. Und vor wenigen Monaten erst schaffte auch Rupert Sanders mit seiner eher mäßig erfolgreichen Schneewitchen-Adaption den Sprung in die erste Liga. Die Musik- und Werbebranche scheint ein guter Ort zu sein, um das Handwerk und den Umgang mit Schauspielern zu erlernen, andererseits hat man klare Vorgaben und nur ein beschränktes Zeitfenster, weswegen es verständlich ist, dass so viele Regisseure die Flucht zur großen Leinwand antreten. Im Falle von Marc Webb können wir darüber nur froh sein. Sein erster Leinwand-Ausflug ist nämlich der Wahnsinn.

Entfesselt von zeitlichen Vorgaben und den Zwängen einer Auftragsarbeit, schafft Webb mehr als nur einen Genre-Beitrag. Sein Debüt reflektiert das Genre, in dem es sich bewegt, entzieht sich gleichzeitig aber auch dessen Konventionen. Gerade aus der zer- und versetzen Chronologie schöpft Webb die Dynamik für eine unwiderstehlich flotte Narration, aus der frei von jedweder Hektik, eine ganz eigene Dramaturgie resultiert. Das Geschehen bleibt trotz der chronologischen Neuanordnung kohärent und fortwährend nachvollziehbar. Einfach alles passt, keine Sekunde ist zu lang oder zu kurz. Alles ist auf den Punkt getimt, nichts ist überflüssig und jede Szene notwendig.

Webb bedient sich einer breiten Palette stilistischer Mittel, gewichtet sie perfekt und integriert sie immer so, dass mit ihrer Verwendung auch ein spürbarer, filmischer Mehrwert einhergeht. Allein die Übergänge zwischen den Sequenzen sind geprägt von überbordender Kreativität. Split-Screen-Montagen, Farbfilter, Animationen und Schnittabfolgen verknüpfen sich auf ganz natürliche Weise mit den narrativen Aspekten. Verweise auf Musik- und Filmkultur weiß Webb währenddessen ebenso stilsicher einzustreuen. Vor allem Mike Nichols' Klassiker „The Graduate“ erfährt eine liebevolle Hommage, die neben der Verwendung von Simon & Garfunkel als Soundtrack, in der Übernahme ganzer Sequenzen gipfelt, gleichzeitig aber – und das macht dieses Debüt unter anderem so besonders – auch eine inhaltliche Relevanz inne hat.

Und tatsächlich hat der Erzähler zu Anfang recht: Denn „(500) Days of Summer“ ist keine Liebesgeschichte - sie ist vielmehr eine Geschichte über die Liebe. Webb interessiert sich für alle Stadien dieses unergründlichen und so wenig fassbaren Begriffes der Liebe. Von der Zeit, in der du denkst, es sei alles möglich, bis zum bitteren Ende einer Beziehung, wo du dir abermals sicher bist, nie wieder in deinem Leben glücklich zu werden. Er ergründet jedoch weniger den abstrakten Begriff, als die Figuren, die davon beeinflusst zu seien scheinen. Er porträtiert Charaktere und deren Geschichten, sowie deren irrationales Verhalten, wenn sie erfüllt sind von diesem Gefühl, das niemand wirklich zu erklären vermag, vor allem aber deren völlig verschiedene Erwartungshaltungen (großartig auf den Punkt gebracht: die Sequenz auf der Dach-Terrasse).

Dieses Debüt ist so voller Charme, Originalität, frischen, unverfälschten Einfällen und einem fortwährenden Optimismus, der in seiner Naivität schon wieder charmant ist. Zwischen Grußkarten und Arthouse-Referenz, geschwisterlichen Weisheiten und echten Freundschaften, sowie Karaoke-Eskalation und der „wahren“ Liebe. Es fällt äußerst schwer „(500) Days of Summer“ nicht zu mögen. Nicht zuletzt aufgrund von Figuren, denen man sich einfach nicht entziehen kann. Gerade durch die unglaubliche Harmonie zwischen Joseph-Gordon Levitt und Zooey Deschanel bewahrt sich Webb's Debüt seine emotionale Sogwirkung und lässt dich bis zum Ende lachen, hoffen, trauern und schließlich einsehen.

7.5/10

Freitag, 26. Oktober 2012

"Ben X" [NL, BE '07 | Nic Balthazar]

Ich will mir ja nicht anmaßen ein allgemeingültiges Urteil darüber zu fällen, wann Autismus und die Symptomatik des Asperger-Syndroms glaubhaft oder eben nicht glaubhaft verkörpert wurden, doch so sehr ich auch versuchte Greg Timmermans' eigenwilliger Interpretation dieses Krankheitsbildes irgendetwas abzugewinnen, so wenig berührte, beeindruckte oder überzeugte mich seine Darstellung des an Asperger erkrankten Ben in irgendeinem Aspekt. Scheinbar geplagt von chronischen Overacting-Attacken kämpft sich dieser an der Seite eines ebenso wenig überzeugenden Darsteller-Ensembles durch ein ambitioniertes Debüt, dessen formaler Einfallsreichtum aber zu keiner Sekunde die penetrante Affektion zu kaschieren vermag, die von den eklatanten Drehbuch-Schwächen herrühren. „Ben X“ fehlt es an Authentizität und immer wieder an darstellerischen Fertigkeiten. Wenn der jugendliche Ben (übrigens selten blöd: vom fast zehn Jahre älteren Timmermans verkörpert) unsicher über den von Klischee-Statisten bevölkerten Schulhof wandelt und die Kamera sich mittels ständiger Close Ups immer wieder auf dessen verkrampftes Gesicht konzentriert, fast so als wolle sie sich über das limitierte schauspielerische Talent Timmermans lustig machen, dann wird klar, weshalb „Ben X“ nie zu wirklicher Größe berufen war: Es fehlt – so blöd es auch klingt - ein guter Hauptdarsteller.

Doch bei allem Makel in Timmermans' verkrampftem Spiel – es ist nicht einzig allein seine Schuld. Denn so sehr man sich auch an seinem Spiel stoßen mag, wirklich scheitern tut „Ben X“ an seinem Drehbuch. Nic Balthazar beweist keinerlei Gefühl für das ihm zugrundeliegende Sujet, bebildert kalt und jede Realitätsnähe vermissend, die Schikane der Mitschüler und die täglichen Barrieren zwischen seinem Protagonisten und dieser Welt, die ihm doch so fremd ist. Balthazar pflügt durch die sozialkritischen Themen ohne jede Feinfühligkeit und lässt seine beiden schmerzhaft eindimensionalen Peiniger immer wieder mit lautem Getöse auf den armen Ben los. Der langsam fortschreitenden Devastation einer einsamen und verwirrten Seele und der damit einhergehenden Schädigung durch sein Umfeld begegnet Balthazar mit visuellen Spielereien und nicht etwa einem Drehbuch, das als künstliche Reproduktion wirklicher Umfelder fungiert. Statt den Klassenraum mit Charakteren zu füllen, mit Gesichtern, die als Teil einer mitreißenden Geschichte funktionieren, liefert uns der niederländische Regie-Debütant die ewig-selben Gussformen; Abziehbilder, denen man eigentlich längst überdrüssig sein sollte. Da gibt es natürlich ein bis zwei emphatische Mitschüler, die – gut erzogen wie sie nun einmal sind – nicht mitfilmen, wenn die restliche, gesichtslose Klassenschaft Ben die Höschen herunterzieht, die bereits erwähnten, lächerlich aufgesetzt spielenden Peiniger und eine Hand voll Lehrer und Familienmitglieder, die irgendwie auch ein bisschen Charakter haben wollen, letztlich aber nur der wackelige Rahmen für eine löchrige Geschichte sind.

„Ben X“ ist zu viel Klischee und zu wenig Wahrhaftigkeit. Wo bei „Mary and Max“ der Thematik des Asperger-Syndroms mit gefühlvoller und von vielen leisen Zwischentönen durchzogener Melancholie ein emotionales Fundament bereitet wurde, bleibt Balthazar an der Oberfläche und vermag es selten dem Off-Kommentar seines Protagonisten jene emotionale Intensität zu verleihen, wie es Elliot bei eigentlich leblosen Knetfiguren gelang. Wirklich mitreißend wird „Ben X“ erst zu seinem ebenso ergreifenden, wie affektierten Schlussakt, der fast - aber eben nur fast - zu einer Verklärung des Vorangegangenen verführt. Verdient hätte er es auch nicht.  

3/10

Freitag, 5. Oktober 2012

"Dawn of the Dead" [US '04 | Zack Snyder]

Es ist letztendlich wenig sinnvoll über Sinn oder Unsinn eines solchen Remakes zu diskutieren, wenn das Ergebnis doch so überzeugend ist. Snyder bleibt zwar – gerade in Anbetracht seines sehr durchwachsenden Schaffens – ein Musikclip-Regisseur wie er im Buche steht, doch gerade bei seinem Spielfilm-Debüt stört es überraschend wenig, dass Snyder – wie so oft – nicht über jene „Style over Substance“- Attitüde hinweg kommt, die seinen Werken seit jeher anhaftet. Die stilisierten Hochglanz-Aufnahmen, die optische Sterilität – ein Michael Bay-Remake hätte vermutlich ähnlich ausgesehen. Und doch ist Snyder's Adaption des berühmten Romero-Klassikers nicht pure Oberfläche. Zum einen, weil er es versteht, kalkulierte, aber nicht minder wirkungsvolle Tabu-Brüche in das Geschehen zu etablieren (Zombie-Baby) und zum anderen, weil er seinen Darstellern genügend Zeit gibt, wirkliche Sympathien und Antipathien beim Zuschauer entstehen zu lassen.

Die Gruppe Überlebender stellt dabei einmal mehr, einen Querschnitt der amerikanischen Gesellschaft dar: Von der sozialen „Unterschicht“ (Andre und Luda), über die bürgerliche Mitte (Ana und Michael) bis hin zur vermeintlichen „Oberschicht“ (Steve). Snyder's Figuren sind ironischerweise Stereotypen im Dienste eines Subtextes, dem er sich eigentlich nie wirklich annimmt. Seine Gesellschaftskritik (Konsumrausch, Sklaven der Industrie) und die damit einhergehende Metaphorik (Zombie-Horden = konsumgeiles Kollektiv) trägt „Dawn of the Dead" nämlich fortwährend etwas lustlos vor sich her. Bezug wird darauf - wenn überhaupt - nur noch in Randnotizen genommen.

Dieser Verzicht auf eine weiter ausformulierte Metaebene, kommt Snyder's Neuauflage dabei unwahrscheinlich zugute. So geht er mit dieser Maßnahme doch einem Vergleich zu seiner - in dieser Hinsicht deutlich besseren - Vorlage fast gänzlich aus dem Weg und kann sich vollends in seiner Daseinsberechtigung als (fast) reinrassiges Entertainment-Produkt zelebrieren. Und als solches funktioniert „Dawn of the Dead“ ausnahmslos, ohne jemals allzu große Schwächen zu offenbaren. Intro und Outro gehören zum Besten, was ich in letzter Zeit bestaunen durfte, die Musikauswahl ist ein Traum (Cheese, Disturbed und Cash in einem Soundtrack – awesome!) und die Darsteller sind allesamt glaubwürdig in Aufbau und Wandlung.

Gore- und Splatter-Elemente sind verhältnismäßig sparsam in das Geschehen eingestreut, tauchen dann aber in solch komprimierter Form auf, dass Snyder's Remake schon beinahe satirische Züge annimmt (deutlich zu viel des Guten: Der versehentliche Motorsägen-Einsatz während der finalen Fluchtfahrt). In seinen besten Momenten besticht „Dawn of the Dead“ dann durch eine ungeheure emotionale Intensität (der Abschied von Frank) und deutet an, was aus Snyder's Debüt hätte werden können, wenn dieser seine Prioritäten nur etwas anders gesetzt hätte. Doch vermutlich sind hier die Ansprüche an einen Regisseur, der uns Jahre später Filme wie „300“ und nicht zuletzt „Sucker Punch“ liefern sollte, schlichtweg zu hoch angesetzt. Snyder ist ein Mann für's Grobe, jedoch ohne je einen allzu plumpen Eindruck zu erwecken. Alles versprüht einen gewissen Charme, ist smart und ab und an kann Snyder sogar mit einem gewissen Maß an Cleverness aufwarten (die Autofahrt aus der Vogelperspektive).

Entledigt von jeglichem Anspruch und ironischen Spitzen, bleibt eine wenig ambitionierte, dafür aber überraschend spaßige Klassiker-Interpretation. Hollywood-Unterhaltung für Erwachsene. Nie dumm, aber auch nie wirklich clever. Snyder in Höchstform also.

6/10

Mittwoch, 3. Oktober 2012

"Dawn of the Dead" [US '78 | George A. Romero]

Bei allen Verdiensten hinsichtlich seiner tragenden Rolle im Subgenre des Zombie-Films und bei aller Gesellschaftskritik, bleibt mit „Dawn of the Dead“ (dt. "Zombie") doch in erster Linie spaßiger Zombie-Trash, wechselweise im A- (die Darsteller) und B-Movie-Gewand (die Gore-Effekte) daherkommend. Gerade aus seiner fast gänzlich fehlenden Einführung in die niedrigen Umstände der Zombie-Apokalypse, schöpft Romero einen unheimlichen Zug in der ansonsten eher spannungsarmen Dramaturgie. Dieser gelegentlichen Spannungsarmut, die mit den eher zur Trägheit neigenden Untoten einhergeht, weiß der Film jedoch mit einem herrlich-ironischen Augenzwinkern zu begegnen. Es entbehrt in diesem Zusammenhang schon nicht einer makaberen Komik, wenn einem geifernden Zombie die Schädeldecke mithilfe von Helikopter-Rotorblättern abgesäbelt wird oder die willenlosen Konsumsklaven in letzter Erinnerung an ihr vergangenes Leben mit der Rolltreppe fahren. Ohnehin sollte man Romero's „Dawn of the Dead“ bei allem kritischen Subtext nie allzu ernst nehmen.

Es ist vor allem Romero's Bildsprache, die das humoristische Potenzial der Geschichte perfekt mit den System-kritischen Aspekten vereint. Wenn die träge Zombie-Meute nach einer etwas wirren ersten halbe Stunde langsam ins Kaufhaus stolpert und sich diese in ihrem Verhalten so gar nicht von ihren lebenden Vorbildern unterscheiden, dann ist das ebenso überdeutlich, wie drastisch. Niemals hat jemand die Abkehr vom materialistischen Kapitalismus so deutlich auf die Leinwand gebracht wie Romero. So schnell alle Sorgen und Probleme angesichts des Überangebotes an Konsumgütern im einen Moment vergessen waren, holt sie die letztendliche Realität dann doch wieder ein. Das neu geschaffene Utopia entpuppt sich als existenzielles Placebo, als Schein-Dasein, das die zunächst vier Überlebenden zwar materiell vollkommen zu befriedigen vermag, aber sozial und psychisch zu leeren „Zombies“ macht. Konsum bedeutet letztlich also nur die kurzzeitige Ablenkung von gesellschaftlichen und sozialen Missständen. Dem Konsum-Apparat als System-dienliches Instrument setzt Romero in letzter Konsequenz den Chaos-fördernden Anarchismus entgegen.

Die immer wieder in das Geschehen eingestreuten Nachrichten-Ausschnitte nutzt Romero für die Zusammenstellung eines allgemeingültigen Regelwerks; Parameter, an denen sich bis heute unzählige Genre-Beiträge orientieren sollen. Und spätestens während der letzten zwanzig Minuten bittet Romero zur großen Zombie-Sause, dann rollen Köpfe, spritzt literweise Kunstblut und wird ausgiebig der Maßlosigkeit gefrönt. Beeindruckend ist auch während dieser Phase, wie Romero seiner Geschichte immer wieder neue Aspekte und Facetten abzuverlangen weiß: „Dawn of the Dead“ ist dann im einen Moment ein trashiges B-Movie, im anderen überraschend gut gespieltes Psychogramm und Verhaltensstudie, in der einen Sekunde zum brüllen komisch, zur anderen wieder zwischenmenschlich und dramatisch. Ein ebenso intelligenter, wie spaßiger, aber nicht vor einigen Längen gefreiter Genre-Meilenstein.

7/10

Montag, 1. Oktober 2012

Zuletzt gesehen: September 2012

"Rosemaries Baby" [US '68 | Roman Polanski] - 8/10

"Dawn of the Dead" [US, IT '78 | George A. Romero] - 7/10

"The Shining" [GB, US '80 | Stanley Kubrick] - 7.5/10

"Manche mögen's heiß" [US '59 | Billy Wilder] - 8.5/10

"Der Weiße Hai" [US '75 | Steven Spielberg] - 6/10

"Coraline" [US, UK '09 | Henry Selick] - 5.5/10

"Waltz with Bashir" [FR, IL, DE '08 | Ari Folman] - 7.5/10

"Adams Äpfel" [DK, DE '05 | Anders Thomas Jensen] - 7/10

"Ein (un)möglicher Härtefall" [US '03 | Ethan & Joel Coen] - 4/10

"Garden State" [US '04 | Zach Braff] - 7/10

"Truman Show" [US '98 | Peter Weir] - 7/10

"Paranoid Park" [US, FR '07 | Gus van Sant] - 6/10

"Infernal Affairs" [HK '02 | Wai Keung Lau] - 6/10

"Paris, je t'aime" [CH, DE, FR, LI '06 | u.a. Tom Tykwer] - 7/10

"Broken Flowers" [US, FR '05 | Jim Jarmusch] - 6/10

"The Sixth Sense" [US '99 | M. Night Shyamalan] - 4/10

"The Royal Tenenbaums" [US '01 | Wes Anderson] - 7/10

"Burn after Reading" [US '08 | Ethan & Joel Coen] - 5/10