Sonntag, 28. April 2013

"Kap der Angst" [US '91 | Martin Scorsese]

Verschenkt. Scorsese scheitert nicht, aber er lässt (zu) viel Potenzial ungenutzt. Ermöglicht der Beginn nämlich noch eine gewisse Identifikation mit De Niro's Charakter, der Selbstjustiz als Mittel dafür versteht, wahre Gerechtigkeit gegen einen „schuldigen“ Anwalt walten zu lassen, verwehrt er diese Chance mit dessen ersten, übertrieben blutrünstigen Taten fast gänzlich. Aus einem Diskurs über Moral und Verantwortung erwächst zunehmend ein – wenigstens – spannend erzählter Rache-Thriller. De Niro wird leider (nur) zum unberechenbaren Psychopathen degradiert; Ansätze die Sympathien ins Gegenteil zu verkehren oder zumindest das Gerechtigkeits-Bewusstsein des Zuschauers an undefinierte Grenzen zu führen, bleiben eben nur Ansätze. Das Unvermögen Vieler seine Fehler einzugestehen oder sie unter dem Deckmantel von Paragraphen scheinheilig zu rechtfertigen, thematisiert der Film auch nur stellenweise - dafür aber in einem großartigen Dialog zwischen einem genüsslichen De Niro und einer devoten, nuanciert spielenden Lewis festgehalten. Am Ende geht alles irgendwie seinen richtigen Gang; das Böse ist ausradiert, die schmutzigen Hände reingewaschen, wenngleich es Scorsese versteht, einen gewissen, leisen Zweifel bestehen zu lassen.

6/10

Donnerstag, 18. April 2013

"The Descent - Part Two" [UK '09 | Jon Harris]

Einmal mehr ebenso obligatorische, wie bemüht blutrünstige Fortsetzung eines funktionierenden Vorgängers. Und ganz getreu dem Sequel-Wahn seines Genres, wird einfach alles wieder auf Anfang gesetzt. Hochgradig stumpfsinnige Plot-Aufhänger gehören da fast schon zum guten Ton, schließlich will die knapp dem Tod entronnene Protagonistin des Erstlings wieder möglichst schnell Untertage befördert werden, um anschließend gemeinsam mit einer handvoll erprobter Genre-Klischees dem sicheren Tod ins hässliche Auge zu blicken. Dann wird gestorben, geschwitzt, geblutet, gestöhnt, getreten, geschlagen, zerquetscht und gezogen, um dann in einem – zumindest – konsequenten Showdown zu gipfeln. Neu ist hier selbstredend nichts, Qualitäten des Vorgängers gehören längst vergessen, es geht natürlich nur um's freche Namendropping, schließlich verdient sich selbst dieser leichte Dollar nicht von alleine. Hier und da gibt’s ein paar Jump Scares, talentfreie Schönheiten, Gekröse ohne jeglichen Rahmen und unter'm Strich ein Sequel, das niemand braucht. Ein großer Haufen Blödsinn - das wissen die Macher, das wissen die Fans; die nötigen Taler sind am Ende trotzdem verdient.

2/10

Sonntag, 14. April 2013

All Eyes On: Alejandro González Iñárritu

Ein Träumer, aber immer den sensiblen Blick auf das Wesentliche gerichtet. Dieser Blick für das Kleine, das Leise, das Schöne. Ein aufmerksamer Beobachter; einer der wie kaum ein zweiter das Naturalistische und Authentische in einen formellen Rahmen einzugliedern versteht, dessen Gesamtheit ein emotional pulsierendes, zutiefst menschliches Konstrukt ergibt. Einer, der die größeren Zusammenhänge erkennt, aber nie den Blick auf den Menschen verliert, der hinter allem steht. Ein kostümierter Optimist, dessen augenscheinlicher Pessimismus, doch in Wirklichkeit mehr einem Realisten gleicht, der nie den Optimismus dafür verliert, das all könne, bei allem Pessimismus-verursachenden Realismus, doch noch ein gutes Ende finden. Einer, der Missstände aufzeigt und dessen Figuren auch immer das Zeugnis wiederkehrender Hoffnung bedeuten. Einer, der die Illusion des Kinos für kurze Zeit außer Kraft zu setzen scheint; einer der nicht Figuren, sondern Menschen folgt, der keine Welten erschafft, sondern erforscht. Diese pluralistischen Welten mit ihren Problemen, die bei aller Ungleichheit am Ende doch das Menschsein eint. Ein unwahrscheinlich moderner Filmemacher ist dieser Iñárritu; und ein unwahrscheinlich humanistischer. 

Freitag, 12. April 2013

"Babel" [US, MX '06 | Alejandro González Iñárritu]

Der Abschluss einer Reise. Nach „Amores Perros“ und „21 Grams“ sprengen die Zufälle, die Schicksale und Verkettungen nun alle Ländergrenzen. Am Ende sind alle irgendwie miteinander verkittet. Da ist ein auslösendes Moment, ein dummer Zufall, kindliche Naivität und ein verheißungsvoller Kanonenschlag, der alles in Gang bringt. Eine Busfahrt, die zur Beziehungsprobe gerät. Ein Kindermädchen zwischen verhärteten Fronten. Und ein taubstummer Teenager zwischen sexueller Frustration und schmerzlicher Vergangenheitsbewältigung.

Und nie war Iñárritu politischer: Wenn Grenzkontrollen zur latenten Demütigung geraten; bis zur verhängnisvollen und so dummen Eskalation, die schließlich ganze Existenzen in sich zusammenfallen lässt. Treffen tut es immer die Falschen - auch nach 16 Jahren noch. Oder wenn ein lokales Kaff zum Zufluchtsort mutiert, Kultur-geschockte Touristen in ihrem Bus verharren, große Augen, die Nachrichten haben ja schon so viel schlimmes berichtet. Es ist schließlich der aufgeklärte Westen, der seiner Frau Befehle erteilt; schließlich sei das eine Sache für echte Kerle. Freundschaft entsteht dann auch fernab der eigenen vier Wände, fernab dessen, was uns unter der Doktrin eines Gottesglaubens und politischen Differenzen in verschiedene Lager einzuteilen gedenkt; in dich und die Anderen.

Wenn klar wird, was uns eint. Wenn Wunden heilen bedeutet, dem anderen den Toilettengang zu ermöglichen. Oder wenn der Schlüssel zu allem nur der Dialog sein kann, sich aufspielen, Aufmerksamkeit erlangen. In einer Welt, die soviel redet und doch nichts zu sagen hat, erübrigt Iñárritu alle Worte: In der pulsierenden Masse ekstatisch umherspringender Menschen zum Beispiel. Wenn die Erde bebt, die Lichtblitze verrückt spielen. „Earth, Wind & Fire“ ertönt, du schließt die Augen. Schwitzt, springst, lachst. Lebst.

Wenn ein Junge eine Waffe vernichtet, sich seiner Verantwortung stellend. Oder einfach eine Hand eine andere ergreift. Dieser Film spricht eine universelle Sprache, eine die sich über die unendliche Kraft der Bilder zelebriert. Kein Name aus dem herausragenden Ensemble bekannter Gesichter und vielversprechender Entdeckungen hätte es verdient aus diesem hervorgehoben zu werden. Und am Ende schließlich steht keine bahnbrechende Erkenntnis und keine Absolution. Am Ende stehen zwei Menschen, Hand in Hand, inmitten pulsierender Lichtkegel. Die Lösungen unserer Probleme liegen im Dialog. Schlicht und ergreifend.

9/10

Montag, 8. April 2013

"Morning Glory" [US '10 | Roger Michell]

McAdams total neurotisch, aber auch total liebenswert. Diese schnell plappernde Schönheit, dieser steile Zahn auf der steilen Karriereleiter, der immer ganz aufgeregt durch die Gegend torkelt. Und diese Rehaugen erst. Und dann Ford, der alte Sack; immer ganz muffig und ernst. Aber in seinem Herzen ist er dann doch ein ganz Lieber, nur dauert es eben eine Weile, um das zu erkennen, schließlich will hier eine Geschichte erzählt werden. Eine Geschichte über hübsche Menschen in hübschen Büros. Und es geht um den Kampf für den Erhalt einer Morning-Show, die dann doch besser abgesetzt worden wäre. Und es gibt da einen Kerl, hübsch, der verliebt sich in die niedliche, dezent hyperaktive McAdams. Ach, und ein Kerl, der witzig aussehende, mit Halbglatze – ein Schelm der jetzt Type-Casting denkt – ist immer für die lustigen Einlagen zuständig. Keaton und Goldblum komplettieren den Senioren-Treff. Spoiler Anfang (wirklich aufhören zu lesen, wenn man sich den Film noch anschauen möchte. Der den Film schon kennt, kann natürlich gefahrlos weiterlesen, es sei denn er hat alles wieder vergessen und möchte den Film ein zweites Mal schauen, was wiederum nicht heißt, dass auch Leute weiterlesen können, die den Film noch nicht kennen, nur muss ich dann darauf hinweisen, dass sie sich den Film möglicherweise mit den folgenden Sätzen kaputt machen): Am Ende wird die Show gerettet und Ford und McAdams laufen gen Sonnenuntergang. Spoiler Ende.

2/10

Samstag, 6. April 2013

"21 Grams" [US '03 | Alejandro González Iñárritu]

Es ist bezeichnend für das ungeheure Talent Iñárritu's, dass die größte Schwäche von „21 Grams“ in dem Umstand besteht Bestandteil einer herausragenden Trilogie zu sein. So fällt es doch schwer nicht den Vergleich zu dem zwar nicht direkt zusammenhängenden, aber nichtsdestotrotz als eine Einheit funktionierenden Vorgänger- bzw. Nachfolgewerk zu ziehen. Und in diesem Vergleich geht dessen zweiten Beitrag zur Schicksals-Trilogie etwas das Genie seines Vorgängers, vor allem jedoch des Nachfolgers ab. Thematisierte das Debüt-Werk „Amores Perros“ doch neben den Einzelschicksalen auch die Situation innerhalb zutiefst gespaltener Ländergrenzen, welche das Abschlusswerk „Babel“ vor dem Hintergrund der Globalisierung schließlich wieder aufgreift, stellt „21 Grams“ den Rückzug zur absoluten Intimität dar; die Reduzierung auf drei Existenzen, drei Situationen und drei Schicksale.

„How many lives do we live? How many times do we die?"

Mehr denn je ist der mexikanische Ausnahmeregisseur an seinen Figuren interessiert. Und wie immer scheint es, als filme er lediglich das Leben ab, als begleite er einfach Menschen und schaue, was denn als nächstes passiert. Wahrhaftigkeit ist es was Iñárritu's Filme so besonders macht. Und das in einer Branche, die doch so sehr von der Illusion, dem Scheinbaren, den gespielten Gefühlen lebt. Iñárritu's Genie liegt einmal mehr darin, die Illusion des Kinos zu perfektionieren - ja, sie sogar für 120 Minuten vergessen zu machen. Selbst künstlichen Leinwand-Projektionen begegnet der Mexikaner dabei mit einer zutiefst berührenden Empathie. Nicht zuletzt auch ein Verdienst von Rodrigo Prieto und dessen unwiderstehlicher Art sich Figuren durch ein Kamera-Objektiv zu nähern.

Die in drei Episoden gegliederte Erzählstruktur wird dabei nur fragmentarisch wiedergegeben und eröffnet dem Zuschauer gerade dadurch die Möglichkeit, die Situation unbefangen zu bewerten. Ohnehin ist es weniger die Schuldfrage, die interessiert als die Auswirkungen auf alle Beteiligten, die mit dem plötzlichen und aller Leben von Grund auf verändernden Ereignis einhergehen. Aus der zerstreuten Narrative schöpft Iñárritu derweil genau jene Dynamik, die in „Amores Perros“ manchmal fehlte. „21 Grams“ stellt damit den wohl zugänglichsten aller Iñárritu-Filme dar. Er scheint mehr auf den Höhepunkt bedacht und trotz der erwähnten zeitlichen Unordnung in der Szenenabfolge, funktioniert sein Film innerhalb eines vergleichsweise konventionellen Rahmens. Stören tut dieser Ansatz nicht, es ist vielmehr – und das ist gleichzeitig auch der größte Kritikpunkt - die erschreckend distanzierte Position aus der heraus man „21 Grams“ erlebt.

„How much is lost? When do we lose 21 grams?“

Hier werden die Nebenwirkungen der retrospektiven Aufschlüsselung der Geschehnisse am deutlichsten, denn während eben diese Form der Erzählung eine unbefangene Betrachtung der hier verhandelten Schuldfrage ermöglicht, haben die Figuren gerade unter dieser Maßnahme enorm zu leiden. Der Umstand, dass sich Iñárritu im Dienste seiner erzählerischen Struktur stetig auf verschiedenen zeitlichen Ebenen bewegt hat zur Folge, dass sich damit auch die Figuren verändern. Veränderungen, die wir als Zuschauer in diesem Moment nicht nachvollziehen können, weil uns der Kontext fehlt, welcher wiederum erst am Ende vollständig gegeben ist. Iñárritu wirft uns somit immer wieder aufs Neue in eine Geschichte, in denen uns sowohl die endgültigen Zusammenhänge versagt bleiben, als auch der Zugang zu den einzelnen Figuren, deren Motivation und Schicksal. 

7/10

Dienstag, 2. April 2013

Zuletzt gesehen: März 2013

"Heavenly Creatures" [GB, NZ '94 | Peter Jackson] - 6/10

"Number 23" [US '07 | Joel Schumacher] - 4/10

"Dead Man Down" [US '13 | Niels Arden Oplev] - 3/10

"Crazy, Stupid, Love." [US '11 | John Requa & Glenn Ficarra] - 7/10

"Scarface" [US '83 | Brian de Palma] - 7/10

"Tatort: Willkommen in Hamburg" [DE '13 | Christian Alvart] - 4/10

"Game of Thrones" [US '12 | Season 2] - 7.5/10

"Paycheck" [US '03 | John Woo] - 5/10

"Freundschaft Plus" [US '11 | Ivan Reitman] - 4/10

"Drive" [US '11 | Nicolas Winding Refn] - 7/10

"Zeugin der Anklage" [US '57 | Billy Wilder] - 8/10

"The Pianist" [DE, FR, UK, PL '02 | Roman Polanski] - 7/10

"Das Kabinett des Dr. Parnassus" [FR, CA '09 | Terry Gilliam] - 5/10

"Bittersweet Life" [KR '05 | Jee-woon Kim] - 6/10

"Howl" [US '10 | Jeffrey Friedman & Rob Epstein] - 6/10

"Ghost Dog" [US '99 | Jim Jarmusch] - 8/10

"Transsiberian" [ES, UK, DE '08 | Brad Anderson] - 4/10

"Mein Leben ohne mich" [ES, CA '03 | Isabel Coixet] - 5/10

"Operation Zucker" [DE '12 | Rainer Kaufmann] - 5/10

"Serpico" [US, IT '73 | Sidney Lumet] - 6/10

"Der Elefantenmensch" [UK, US '80 | David Lynch] - 9/10

"Nokan" [JP '08 | Yojiro Takita] - 5/10