Dienstag, 29. Juli 2014

"The Raid 2" [ID '14 | Gareth Evans]

Bauerntheater! Keine Ahnung wer hier auf die Idee kam, man müsse ernsthaft eine Geschichte erzählen. Inhaltlich erweist sich „The Raid 2“ nämlich, oh Wunder, eher als Schmalspur-Version eines Scorsese-Epos, dessen einzige Parallele wohl noch die exorbitante Laufzeit darstellen dürfte. Und das ist ein Problem, das auch mit dem Verweis darauf, dass das alles ja Genre-Kino sei und eine solche Art Film keine gute Geschichte brauche, oder Figuren, die funktionieren oder andere Dinge, die eine scheinbar deplatzierte Erwartungshaltung ernsthaft zu fordern die Frechheit besitzt, nicht aus der Welt zu schaffen ist (als bedeute Kino in starren Kategorien zu denken). 

Schließlich, und das ist ein Ausruf der mir bei der Besprechung des neuen, Genre-erschütternden Ultra-Hits aus Indonesien immer wieder begegnete, solle es doch nur mal wieder richtig saftig „auf die Fresse geben“. So richtig schön handgemacht, so richtig schön derbe. Männerkino halt, mit dem Jever im Anschlag und dem Hirn auf Durchzug. Geil! 

Doch das Handlungsgerüst von „The Raid 2“ stellt ein Problem dar, weil sich Evans offenbar dazu anschickt, neben den zweifelsfrei im Handlungsmittelpunkt stehenden Kämpfen, auch eine epische Gangster-Ballade zu erzählen und somit Figuren zu entwickeln, Szenarien zu installieren, Zwiste herzuleiten oder Schicksale zu besiegeln. Ein nicht unerheblicher Teil der Laufzeit gilt der Geschichte; Momenten also, die auf Schauspieler und Autoren-Talent angewiesen sind. „The Raid 2“ hat jedoch keine Schauspieler - und Evans ist kein Autor. 

Die Figurenskizzen sind ausschließlich Mumpitz, die Schauspieler entweder chronisch unterfordert (nochmal Glück gehabt: Uwais) oder hoffnungslos überfordert (kein Nicholson: Abbad | kein Schauspieler: Putra) und Evans scheint sich vornehmlich mit der Aneinanderreihung fußlahmer Genre-Standards (vom frustrierten Sohn, der die Seiten wechselt) und einem heruntergedooften Story-Plagiat zu begnügen. Hier bläht Evans unnötig auf, wo es doch eigentlich nichts zu erzählen gibt. 

Doch bevor jetzt von allen Seiten Kloppe droht: Natürlich sind die Fähigkeiten dieser Martial-Arts-Künstler phasenweise atemberaubend, die Kämpfe wuchtig und zweckdienlich choreographiert und der logistische Aufwand, diese unzähligen Plansequenzen in dieser Form umzusetzen, sicherlich nur mit absoluter Hingabe zu betreiben (Budget: 4,5 Mio. Dollar). Im Angesicht etwaiger Nicht-Alternativen aus dem angelsächsischen Raum ist der Hype um „The Raid 2“ nur nachzuvollziehen, ihn aufgrund seiner aufwendigen, nichtsdestotrotz unscharfen und viel zu verwackelten Fights jedoch direkt in den Genre-Olymp zu erheben, täte dem Genre dann doch ein wenig Unrecht. Wer sonst Scheiße frisst, dem schmeckt auch Trockenbrot. Das US-Remake wurde inzwischen bestimmt bestätigt. 

5.5/10

Samstag, 26. Juli 2014

"The Breakfast Club" [US '85 | John Hughes]

Samstag. 7:00 Uhr. Antreten zur schulischen Disziplinarmaßnahme: Ein Nerd, eine Sportkanone, ein Rebell, eine Außenseiterin und eine Prinzessin. Sinn: Zweifelhaft. Lehrpersonal: Überfordert, gekränkt und von Zweifeln besetzt, wenn Autorität zur bloßen Behauptung gerät. Die geläuterten Bankdrücker: Frustriert, in Rollen gedrängt, von Erwartungen erdrückt. Bis der Erste das Wort ergreift, und dann der Zweite, der Dritte, der Vierte, der Fünfte. Bis auch der letzte seine angestammte Rolle abgelegt hat; und die Zweifel, und die Vorurteile, und den Stolz. Und dann passiert es: es wird geredet, Dialog, endlos lang, jeder darf, keiner muss. Und man gelangt zu erstaunlichen Erkenntnissen über die jugendliche Lebenswirklichkeit, die diese Gruppe amerikanischen Querschnitts mit jedem weiteren Wort zutage fördert: Gerade jene, die uns doch am meisten lieben und denen unsere Zukunft am Herzen liegt, denen wir uns anvertrauen, zu denen wir aufschauen, uns festhalten, drängen uns in Richtungen, bedrängen uns, verteilen Last, statt sie zu teilen. Und sie tun es nicht aus böser Absicht, sondern weil sie es nicht besser wissen. Womöglich aus Angst oder chronischer Über-Fürsorge. Und sie sprechen über Gruppendynamik und über Erfolgsdruck, übers ausgegrenzt- und verloren sein, über falsche Freunde und den Montag, der kommen wird und ob sie dann noch immer Freunde sein werden; vor den „Anderen“; vor allen, denen es vielleicht gar nicht viel anders ergeht. Also sprecht miteinander - es hilft, ganz im Ernst. Euer Breakfast-Club. 

 7/10

Dienstag, 22. Juli 2014

"Schwerkraft" [DE '09 | Maximilian Erlenwein]

Gute Menschen gibt es hier nicht; in diesen gläsernen, kalten Büro-Komplexen, in denen zur Besserung des Betriebsklimas sogar die Farbe des Hemdes fremdbestimmt werden soll und einem der Chef an der Kaffeemaschine zwinkernd ein Foto seiner neuesten Eroberung präsentiert. Erlenwein's erster Spielfilm ist bevölkert von latenten Arschlöchern und langweiligen Anzug-Fuzzis, denen es nach Jahren der Hörigkeit gehörig ans Bein zu pissen gilt. Und schon lange nicht mehr hat sich ein deutscher Regisseur derart befreit, komisch und selbstbewusst zwischen den Genres bewegt. Den Ausbruch seines Protagonisten aus einem lähmenden Kreislauf erzählt Erlenwein in erster Linie über schnörkellose Dialoge, erstaunlich stilsicher und von einem bestechenden Ensemble getragen. Gelegentlich erinnert „Schwerkraft“ in seiner straffen Struktur und dem zugänglichen Rhythmus, der immer wieder durch leichtfüßige Gitarrenriffs getaktet wird, an die ironischen Gauner-Balladen eines Guy Ritchie - in gut. Der unterkühlte Fincher-Look, welcher warme Töne fast gänzlich eliminiert, distanziert sich zudem von einschlägigen TV-Formaten und macht gerade hinsichtlich seines behandelten Sujets absolut Sinn. Lediglich zum letzten Drittel gibt Erlenwein die Zügel hier ein wenig aus der Hand und springt etwas planlos und unschlüssig zum vorhersehbaren, aber schönen Finale. Moralisch bleibt das aber immer wunderbar inkorrekt und der Humor trocken. Deutsches Kino lebt. 

6/10

Samstag, 12. Juli 2014

"Leviathan" [FR, UK, US '12 | Verena Paravel & Lucien Castaing-Taylor]

Am Anfang ist Schwärze. Dann das Rauschen des Meeres, die am Bug brechenden Wellen. Dann das monotone Brummen eines Schiffsmotors, später unverständliches Arbeitsgenuschel und Seekrankheit-simulierende, total Sinn machende Kamera-Schwenks. „Leviathan“ meidet Totalen und sucht die Nähe, und er geht so nah, dass sich bekannte Formen zu verzerren beginnen. In der Orientierungslosigkeit wird plötzlich alles eins: Rollende Fischköpfe, Blutlachen, gigantische Netzvorrichtungen, routiniertes Treiben an Deck. Erste Konturen zeichnet der Film erst mit der Zeit. Das zerfurchte Gesicht des Kapitäns, dunkle Augenringe, tätowiert, verschwitzt oder einfach nur durchnässt vom unaufhörlichen Regen, wahrscheinlich beides. Hardrock im Hintergrund, der aus einem alten Plastikradio dringt. Und immer ist da diese unbändige Kraft und meine Ehrfurcht ihr gegenüber. Dann sind wir im Meer, begleiten einen Möwenschwarm, der für ein paar Fischreste in die Wellen stürzt. Dem mechanischen Summen eines Krans sind grelle Schreie zu entnehmen, dann Leviathan, dann Schwärze. 

8/10

Samstag, 5. Juli 2014

"King of Queens" [US '98 | Michael J. Weithorn]

 Neben der sonntäglichen „Lindenstraße“-Folter (eine Form der Selbstkasteiung, die meine Eltern zur cinephilen Bildung ihrer Blagen als notwendig erachtete) ist mir keine andere Serie in Erinnerung geblieben, die ich mit meiner Familie je regelmäßig und gemeinsam geschaut hätte. „King of Queens“ war ein kleines, familiäres Großereignis. Jedenfalls für mich. Auf diesem kleinen, wirklich sehr kleinen Röhrenfernseher unter dem das Logo eines japanischen Elektrogeräteherstellers thronte, unter den harten, knarrenden Holzdielen, die von unseren täglichen Eskapaden sichtlich gezeichnet waren, hinter uns das tiefschwarze Ledersofa mit den vertrockneten Popel-Resten in den Rillen und der hauptsächlich durch 9Live-Wiederholungen verpesteten VHS-Sammlung zu unserer Rechten. Nur ein Scherz. So klein war der Fernseher nun auch wieder nicht.

Jahre später bekam ich zum Geburtstag die erste Staffel von „King of Queens“ auf DVD. Von da an bekam ich Jahr für Jahr – zu allen möglichen Anlässen – eine weitere Sammel-Box, die ich unverzüglich ihrer verschweißten Hülle entriss und meiner Sammlung hinzufügte, bis ich schließlich jedes Bestandteil dieses neun Staffeln umfassenden Mikrokosmos in meinem wackeligen Holzregal vereint hatte. Diese Zusammenführung über einen langen Zeitraum, trug zur Schaffung einer sehr persönlichen Bindung ganz entscheidend bei. Jedes neue Mosaik hatte seinen ganz eigenen Wert, jede Staffel begleitete mich über einen gewissen Zeitraum auf irgendeine Weise, wurde quasi zu einem Wegbegleiter, hielt die nötige Dosis Eskapismus bereit, formte meinen Sinn für Humor oder brachte mich zum lachen, wenn mir nicht zum lachen zumute war. 

Regelmäßig schaute ich mit meiner Familie die neueste Staffel, verschlang sie und tauchte in sie ein, traf alte Bekannte wieder, von denen ich schwören könnte, dass sie mir durch die lästigen Begrenzungen der Flimmerkiste hindurch zugezwinkert hätten und immer wieder entdeckten wir auf unseren Ausflügen Episoden, die wir im TV verpasst hatten und schlossen so unsere Wissenslücken. Diese Abende und all diese „ach, eine Folge geht noch“-Momente sind nun Bestandteil dieses Gefühls, das ich habe, wenn ich zurückkehre, in die Vorstadt, nach Queens, zu Freunden, dieses Wiederaufrischen von Gefühlen, Momenten und Situationen die mit dieser Serie behaftet und gekoppelt sind.

Ich liebe diese Serie und ich liebe ihre Figuren. Arthurs Alltags-Verkomplizierungen und cholerischen Anfälle. Seine Marotten und liebevollen Blödeleien, seine Lügengeschichten und bizarren Regelwerke. Wie er eine Schnute zieht und leidenschaftlich albern mit dem Becken wackelt. Seine Vitalität und Gutmütigkeit, seine Überreaktionen und Verbal-Duelle. Diese brüllend komischen Ausrufe und die gleichzeitige Befähigung ob der Tragik seiner wundervollen Figur auch mal innezuhalten. Ein Verrückter, geistesgestört, kein Zweifel. Aber auch ein Kellerkind, das nie verlernt hat Kind zu sein.

Und dann Doug, immer mit vollem Körpereinsatz – und das ist eine Menge. Der Typ, der sich nicht zu schade ist, sich vollkommen zum Affen zu machen, dieses ultra-sympathische Postboten-Gesicht zu komischen Visagen zu verzerren und mit seinem beharrten Schwabbelbauch in der Gegend herumzuwackeln. Ein gutmütiger Durchschnitts-Amerikaner, der in seinem Talent zum grenzenlosen Optimismus überhaupt nicht durchschnittlich ist und der in allem zuallererst die guten Seiten zu erkennen vermag. Das Glas ist immer halb voll und der Teller ganz sicher nie leer. Und Carrie, dieses Biest mit den langen, künstlichen Fingernägeln, diese liebevolle, besonnene Ehefrau, die immer auch Mutter spielen muss, um den häuslichen Kindergarten in Ordnung zu halten. Eine undankbare Rolle. Der Spielverderber, der immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Doug's Team-Partner, die Karrierefrau und Manhattan-Tussi, so ambivalent, weil menschlich konzipiert.
 
King of Queens“ propagiert ein fortschrittliches Lebensmodell; eines das besagt die Alten nicht einfach abzuschieben, sondern ihren Geschichten zu lauschen und einzusehen, dass sie möglicherweise noch vieles zu sagen haben. Mit den Zitaten dieser Serie könnte man Bücher füllen. Bücher, die etwas zu sagen hätten. 

Für die Postboten dieser Welt, für die übergewichtigen Großstadt-Clowns und Kellerkinder, für die senilen Zirkusaffen und zickigen Emanzen, für die zufriedenen Mittelständler und starken Frauen, ohne die diese Welt gnadenlos zugrunde gehen würde, für die verschrobenen Nerds und erfolglosen Cousins da draußen, für die Sportler und einsamen Witwen, die Arschlöcher und Alkoholiker – eine pathetische Geste darf erlaubt sein, eine gut gemeinte Verneigung, ein Knicks in voller Inbrunst. „King of Queens“ - mein Herz gehört dir.

Dienstag, 1. Juli 2014

Zuletzt gesehen: Juni 2014

"Sherlock" [UK '13 | Season 3] - 5.5/10

"Halloween" [US '78 | John Carpenter] - 5/10

"The Ides of March" [US '11 | George Clooney] - 6/10

"City of God" [BR, FR, US '02 | Fernando Meirelles] - 5/10

"¡Vivan las Antipodas!" [AR, CL, DE, NL '11 | Victor Kossakovsky] - 5/10

"The Crow" [US '94 | Alex Proyas] - 6.5/10

"Game of Thrones" [US '13 | Season 4] - 8/10

"Was bleibt" [DE '12 | Hans-Christian Schmid] - 4/10

"Susi & Strolch" [US '55 | Walt Disney] - 5/10

"Mein Nachbar Totoro" [JP '88 | Hayao Miyazaki] - 6/10

"Happythankyoumoreplease" [US '10 | Josh Radnor] - 3/10

"Liberal Arts" [US '12 | Josh Radnor] - 7.5/10

"Midnight in Paris" [ES, US '11 | Woody Allen] - 5/10

"Rick and Morty" [US '13 | Season 1] - 8/10

"Interview" [US '07 | Steve Buscemi] - 4.5/10

"Blackfish" [US '13 | Gabriela Cowperthwaite] - 6/10