Mittwoch, 27. September 2017

"O.J.: Made in America" [US '16 | Ezra Edelman]

Regisseur Ezra Edelman knüpft die außerordentliche, höchst wendungsreiche Karriere O.J. Simpsons unmittelbar an die Zeitgeschichte, aus der sie erwachsen ist. Zwischen den Lebensstationen von Simpson, den frühen Tagen als Football-Talent am College, den darauf folgenden Profi-Jahren bei den Buffalo Bills bis zu seinen ersten Gehversuchen als Schauspieler in Hollywood, drängt sich dabei immer wieder ein größerer Bewandtnis-Zusammenhang in den Vordergrund. Die tiefen rassischen Konflikte im L.A. der 80er Jahre, die lange Vergangenheit von Polizeigewalt an Menschen der afro-amerikanischen Gemeinschaft und die nach wie vor präsenten Strukturen der Segregation geben der Geschichte von Simpson Kontext und Referenzpunkte. Sie erklären dabei nicht nur den ungewöhnlichen Stand Simpsons in der weißen Oberschicht, sondern erklären vor allem die überwältigende Wirkung, die der politisch aufgeladene, abstruse Prozessverlauf zuvorderst auf die schwarze Bevölkerung der USA ausübte.

Insbesondere die Omnipräsenz der Medien spiegelt „O.J.: Made in America“ hierbei eindrucksvoll: Zu jedem Spiel und jedem wichtigen Run des Ausnahmetalents Simpson gibt es Fernsehaufzeichnungen, zu jeder Kontroverse existiert eine Stellungnahme in einem Interview, jeder öffentliche Auftritt wurde auf Tape gebannt, jeder Film-, Werbe- und Radioauftritt ist archiviert und jederzeit wiederabrufbar. Es existieren Homevideos aus dem Privatleben Simpsons ebenso, wie Aufzeichnungen einer Verfolgungsjagd zwischen dem inzwischen dringend Tatverdächtigen Simpson und der Polizei oder den darauf folgenden über zweihundert Prozesstagen – alles live im Fernsehen übertragen. Medien spielen eine ambivalente Rolle in der Betrachtung des Falles Simpson, sie zerstreuen die Aufmerksamkeit einer ganzen Nation, priorisieren Einzelschicksale, etablieren Marken und bauen Ikonen auf und verdienen schließlich am Untergang eben jener. Und doch sind es ironischerweise sie es, die es Edelman erlauben die Chronik der Causa Simpson beinahe lückenlos mit Originalmaterial nachzuzeichnen.

Das gesamte Erwachsenenleben Simpsons scheint durch eine Kameralinse sichtbar gemacht, jedes intime Detail scheint an die Oberfläche gespült. Eine ganze Karriere als live-übertragende Reality-Show quasi, mit all den Höhenpunkten, den Partys und dem Geld und am Ende mit all der Gewalt und Grausamkeit des Absturzes eines als Nationalhelden gefeierten Mega-Stars. Die stetig auf Simpsons gerichteten Kameras entlarven dabei nicht nur dessen schizophrenen Charakter, sie verweisen auch immer wieder auf sich zurück. Denn auch die Medien haben aus dem grausamen Verbrechen des Football-Stars an seiner Ex-Frau Nicole Brown Simpson und ihrem Freund Ronald Goldman ein Politikum gemacht, das die Schuld oder Unschuld des Angeklagten nicht länger zur Streitfrage erklärte. Stattdessen nahm die afro-amerikanische Bevölkerung kollektiv Rache für Jahrhunderte der Unterdrückung und Marginalisierung - besonders fatal begünstigt durch die Lotterie der Jury-Zusammensetzung. Damit leistet sich auch das fehlgeleitete US-Justiz-System einen Offenbarungseid. Und es werden plötzlich vor allem Systemfehler sichtbar, die fundamentale Charakterfehler fast schon in den Hintergrund verbannen. 

7/10

Mittwoch, 20. September 2017

Ein paar Gedanken zu 3 von 4 Indy-Filmen

Auffällig in der Retrospektive ist zunächst, dass sich die Filme gerade aufgrund ihrer konkreten historischen Bezugnahme wunderbar als eskapistischer Spaß genießen lassen. Dieser Spaß schwankt von Teil zu Teil jedoch erheblich. Der erste Film, noch ohne das Franchise-Label „Indiana Jones“ schlicht „Raiders of the Lost Ark“ genannt, markiert hier bereits den Höhepunkt. Harrison Ford steht in einer der kommerziell wahnsinnigsten Karrieredekaden überhaupt (vom „Star Wars“-Set zu „Indiana Jones“ zu „Blade Runner“ usw.) bei seinem ersten Indy-Auftritt voll im Saft; gibt kraftvoll und lakonisch den Halbtags-Archäologen und Abenteurer.

Im Kampf gegen die Karikaturen der Hakenkreuz-Bande um den Prototypen des schmierigen Gestapo-Majors Toht gilt: nur ein toter Nazi ist ein guter Nazi. Während die Nazis an der Bundeslade nur interessiert sind, weil sie sich einen beträchtlichen Machtzuwachs davon versprechen, liegt Indy zuvorderst der historische Wert am Herzen. Und Spielberg findet für die Tour de Force nach der Bundeslade die passenden Bilder. Sofort eingebrannt haben sich die wunderschönen Matte-Paintings von den Bergen Nepals, die erste Begegnung mit dem wunderbar fiesen Krötengesicht Toht eben dort, die Basare Kairos oder der unsterbliche, ikonische Shot von Jones vor der untergehenden Sonne in der Wüste Ägyptens. Der Reiz des ersten Filmes liegt in der Ferne des Unbekannten und in der Aussicht der Möglichkeiten.

Interessanterweise beschränkt sich „Temple of Doom“ an genau dieser Stelle und unternimmt den Versuch, trotz der Installation eines kindlichen Sidekicks, den Grundton des Erstlings in neue Genre-Gefilde zu überführen. Trotz des beständigen Flirts mit Horror-Elementen über die gesamte Reihe hinweg, ist es der zweite Film, der sich ganz klar zu den Traditionen des B-Horrors bekennt. Im Tempel des Todes werden während ritueller Opferzeremonien Herzen mit bloßer Hand aus der Brust gerissen, hysterische Frauen durch dunkle Gänge mit giftigen Krabbeltieren gejagt und Indy durch schwarze Magie zum willenlosen Diener degradiert. „Temple of Doom“ vollzieht einen lobenswerten, tonalen Wechsel und scheint sich und seiner Idee doch nie ganz zu vertrauen: Der Titel-gebende Tempel des Todes spielt erst in der zweiten Hälfte des Filmes eine wirkliche Rolle, zuvor überlassen sich Spielberg und Lucas ganz und gar den Steigerungs-Mechanismen, die einige Jahre später auch den dritten und 24 Jahre später vor allem den vierten Film bestimmen sollten.

Wenn Indy und seine Begleiter ein gelbes Gummiboot erst zum Fallschirm und dann zum Schlitten umfunktionieren, um dann endlich in sicheren Gewässern zu landen, verschwendet das Duo vor allem viel Zeit auf hässliche Rückprojektionen, statt dem eigenen Konzept zu vertrauen, welches vorsieht Indy aus der Weite der Wüste in ein düsteres Kammerspiel zu zwingen. Dort gewinnt der Film durch konsequente Horror-Anleihen zwar wieder, leidet aber auch gleichzeitig unter einem krassen Orientalismus (Affenhirn auf Eis) und der sensationell nervigen Kate Capshaw, die mit einer Figur geschlagen ist, die entweder genervt, ängstlich oder rallig sein darf, wenn Indy mal wieder seinen rauen, männlichen Charme und die Lederpeitsche auspackt. Selbst die technisch aufwendig in Szene gesetzte Mienen-Rundfahrt reißt hier nicht mehr viel raus.

Teil 4 ist indes nicht so schlimm wie es die Erinnerung vorgab. Hässlich ist er zwar geblieben, aber statt an überflüssigem CGI leidet „Kingdom of the Crystal Skull“ vor allem an einem akuten Weichzeichner-Overkill, der jedem Frame die Kanten glättet und jeder Tiefe beraubt. Wenn der Film Shia LaBeouf (übrigens nicht das Problem) zum Lianen-schwingenden Tarzan macht oder ihn in einen Degenkampf gegen eine russische Superschurkin stößt (weil er das ja auf der Privatschule gelernt hat), dann sind das irritierende Momente der Hässlichkeit und sie stehen zugleich exemplarisch für den Film: denn abseits dieser Einzelmomente reißt die Dschungel-Sequenz auch immer wieder mit. Über die Bewegung der Action erzählt Spielberg auch von einer sukzessiven Familienzusammenführung und streut immer wieder vergnügliche Wortgefechte zwischen Indy und Ravenwood ein, die nach 27 Jahren immer noch so schön lächeln kann wie damals.

Das Problem liegt weniger an den Grundzutaten, nur scheint Spielberg das Feingefühl abhanden gekommen zu sein, die einzelnen Elemente auszubalancieren. Aus einer romantischen Annäherung muss hier zwingend eine übersteuerte Hochzeitszeremonie folgen, die Bedrohungsszenarien nach Giftschlangen und mörderischen Fallen in einer Atomexplosion gipfeln und die Verfolgungsjagd im Dschungel muss noch damit gekrönt werden, dass Ravenwood gezielt auf einen Baum am Abgrund zusteuert und an diesem herab in den Fluss gleitet. Das ist so drüber, wie es Plastik ist. Und statt Gefahren existieren hier nur noch Attraktionen am Wegesrand. Das ist am Ende leider so aufregend wie ein Familienausflug in den Serengeti-Park – und mindestens so falsch.

Dienstag, 5. September 2017

Zuletzt gesehen: August 2017

"The Ghost Writer" [UK, FR, DE '10 | Roman Polanski] - 8/10

"Raiders of the Lost Ark" [US '81 | Steven Spielberg] - 7/10

"Indiana Jones and the Temple of Doom" [US '84 | Steven Spielberg] - 4/10

"Indiana Jones and the Last Crusade" [US '89 | Steven Spielberg] - 6/10

"Indiana Jones and the Kingdom..." [US '08 | Steven Spielberg] - 4/10

"Baby Driver" [US '17 | Edgar Wright] - 2/10

"Her" [US '13 | Spike Jonze] - 4/10

"Ghost in the Shell" [US '17 | Rupert Sanders] - 4/10

"Wilde Erdbeeren" [SE '57 | Ingmar Bergman] - 6/10

"August: Osage County" [US '13 | John Wells] - 4/10

"Toni Erdmann" [DE, AU '16 | Maren Ade] - 8/10

"Paterson" [US '16 | Jim Jarmusch] - 7/10

"Phenomena" [IT '85 | Dario Argento] - 3/10

"Eine Taube..." [SE '14 | Roy Andersson] - 6.5/10

"Mystery Train" [US, JP '89 | Jim Jarmusch] - 6/10

"Game of Thrones" [US '17 | Season 7] - 6/10